Samstag, 6. Oktober 2012

DON - The German Gay Magazine 1977 (Heft 1 bis 2)


DON 1/77 erscheint im Januar 1977. Verleger ist Henry Ferling, Darmstadt, siehe DON 1/1973. Redaktion: Jens M. A. Reimer, R.v. Lindenau (= Henry Ferling), Tommy Brauner (= Jens M. A. Reimer), Bildredaktion: Guy Gilbert (= Günter Goebel) und Hans John (= Hans Möstl), Details bei DON 9/1976

So wie es bei Erscheinen einer neuen DON-Ausgabe immer Gründe gab mich gewaltig aufzuregen, geht es mir noch heute, bspw. wenn ich diese erschreckend abschreckende Titelseite betrachte. Null Ahnung von Gestaltung, Schriften, Werbewirkung ... und nullkommanull Ahnung von den Erwartungen eines Schwulen, dem man dieses Magazin schmackhaft machen möchte. Ich stelle dem Januar-


Titel des Jahres 1977 mal ein paar willkürlich herausgegriffene US-amerikanische Gay-Magazintitel gegenüber, die bereits Jahre zuvor (1957, 1960, 1964, 1968, 1972, 1976) erschienen sind. Auch dies keine hochauflagigen Objekte, ausgenommen vielleicht Mandate, das im US-Markt damals schon etabliert war:


Eine Anzeigensammlung von Anfang des 20. Jahrhunderts; u.a. aus Jugend, Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben. Nacktfoto-Magazine wurden damals als 'Studien für Künstler und Kunstfreunde' oder 'Photographische Aufnahmen nach dem Leben, männlich, weiblich, Kind' angeboten; männliche Aktfotos als 'Italienische und deutsche nur künstlerische Modellstudien ... R. Wagner, Kunsthandlung, Maximiliansplatz 19, München'.


Der Name des Notizen-Autors Loy Wenker klingt verdächtig frei erfunden...

Besprechung des Films 'Je t'aime moi non plus' (1976) mit Joe Dallesandro, der übrigens schon als 15/16-jähriges Aktmodell vor der Kamera Bob Mizers (Athletic Model Guild) stand. Die stark homo-erotischen und sehr 'nackigen' Dallesandro-Filme Flesh, Lonesome Cowboys und Trash, in die es uns hocherregt hieinzog, waren allerdings schon 7 bzw. 8 Jahre zuvor in den Kinos gelaufen.

Anlässlich der Berliner Filmfestwochen schrieb eine Tageszeitung ...
"Festwochen für viele - weshalb nicht auch für SCHWULE und TUNTEN? Beide Ausdrücke sind dem beigegebenen Pamphlet zur filmischen Laienarbeit Rosa von Praunheims entnommen. Das unter dem Titel 'Underground and Emigrants' miserabel abfotografierte New Yorker Offoff-Broadway ist nicht viel mehr als eine Dokumentation künstelnder Abnormität. Voll von Symptomen der Scharlatanerie, wenn auch gelegentlich gesunder Geschäftssinn (LA MAMMA etc) die Oberhand gewinnt. Im übrigen banales Geschwätz mit ein paar Stars von vorgestern und immer wieder das von homoerotisch schwangerer Atmosphäre triefende Pinten-Theater für Tunten. Wo blieb da die angebliche Kreativität? Nichts desto trotz wurde dieser Film - ein Teil des sogenannten 'Downtown Manhattan Programmes' - großspurig als Welturaufführung deklariert."


So das potthässliche Farbfoto mit kackbraunem Plüschsofa nicht zu schnellem Weiterblättern animierte ...

... Eine ziemlich homophobe Theater-Kritik in der 'Fuldaer Zeitung' über das Stück 'Bitte nicht stören' mit Carl Heinz Schroth ...

... aus dem Anzeigenteil der 'Schwäbischen Neuen Presse': "Charmanter Boy, 24, bietet älteren Herren nicht alltägliche Freizeitgestaltung..." ...

... die 'Kasseler Stadtzeitung' berichtet über den 'Homophilen Beratungsdienst' (auch für Angehörige) eines Uwe C. Lengen, der im gleichen Blatt für seinen 'Pferdestall' (smarter Treff für Männer) inseriert ...

... der 'STERN' über Strichjungen und Callboys, wie sie leben, wie sie dazu wurden ... usw.


"Glauben oder Nichtglauben - das ist hier die Frage. Laut einer demoskopischen Umfrage sollen sich - mehr oder minder belustigt - fast 705 aller Bundesbürger darüber informieren, was ihnen die Tages- und Wochenhoroskope prophezeien ... Lesen Sie also, was der DON-Astrologe in seiner Gerüchte-Küche über Ihre Zukunft zusammenorakelt hat ..."

Es ist mir ziemlich peinlich, was ich da an Horoskopmist vor bal 40 Jahren zusammengedichtet habe...


Die verschiedenen Pseudonyme (hier Tommy, früher Tommys Brief-Box, auch Tommy Brauner) - neben meinem Klarnamen - dienten auch der Verschleierung, dass DON in den zwei/drei Jahren des redaktionellen Übergangs kaum Autoren zur Verfügung standen.


DON 2/77 erscheint im Februar 1977. Verleger ist Henry Ferling, Darmstadt, siehe DON 1/1973. Redaktion: Jens M. A. Reimer, R.v. Lindenau (= Henry Ferling), Tommy Brauner (= Jens M. A. Reimer), Bildredaktion: Guy Gilbert (= Günter Goebel) und Hans John (= Hans Möstl), Details bei DON 9/1976


Meine Dauerkritik an DON gegenüber  Henry Ferling führte dazu, dass ich 1977 grössere Teile des Bildmaterials auswählen und mehr Seiten layouten konnte: Beispielsweise die Themenüberschriften des Februar-Titels, die Gestaltung des obigen Story-Vorspanns und die Doppelseiten von "19/169, blond...".

Eines von zahllosen Problemen war, dass in der Ferling-Druckerei, die zugleich den Satz machte, nur banale, langweilige Standardschriften zur Verfügung standen. Verlag und Druckerei konnten es sich auch nicht leisten, Überschriftzeilen bei den damals sehr teuren Foto-Setzereien zu bestellen. Um die Optik des Magazins wenigstens teilweise zu modernisieren, blieb mir nichts anderes übrig, als die Hauptüberschriften in zeitaufwendiger Arbeit von den seinerzeit gebräuchlichen (selbst bezahlten, teuren) 'Letraset'-Bogen - Buchstabe für Buchstabe - abzureiben.



Es ist die Zeit, da Udo Jürgens Schlager 'sozialkritisch' wurden...

"Normale Schnulzen sind 'out'. Heisse Themen sind 'in'. Austrias Udo hat uns da schon einiges vorgeträllert. Aber Bernd Clüver gibt sich noch progressiver. Der ehemalige 'Junge mit der Mundharmonika' bläst nun eine warmherzige Melodie in des Bundesbürgers gute Stube: Mike und sein Freund **. Die Plattenmacher erhoffen sich einen warmen Umsatzregen von der homophilen Exotik ... Meine Meinung zu diesem kreativen Tiefflug hat Karl Dall von den 'Insterburgs' intoniert: >Diese Platte ist ein Hit! Diese Platte nimmt dir mit! Diese Platte mußte koofen. Diese Platte ist für die Doofen.< Möge BRAVO-Bernds Liedchen von dem komischen Typ mit den getönten Haaren auch geschäftlich ein Trauerspiel bleiben, denn in punkto Klimaverbesserung dürfte sich solch schwules Schmalz als weit grösserer Flop erweisen...." 

** In Wikipedia heisst es dazu: Aufmerksamkeit erregte Bernd Clüver im Oktober 1976 durch die Veröffentlichung der Single Mike und sein Freund, eine Coverversion des Rubettes-Titels Under One Roof. Erstmals sang ein deutscher Schlagersänger über Homosexualität. Obwohl das Lied in den deutschen Charts bis auf Rang 44 stieg, durfte er damit weder in der ZDF-Hitparade noch in der Sendung disco auftreten. Vielmehr musste der Sänger „landauf, landab in Interviews versichern, daß er nicht ‚so‘ sei.“